Selmatrix - Ein Interview


Woher kommt der Name Selmatrix?

Der Name entstand an einem langweiligen Osterwochenende vor ca. 6 Jahren.
An diesem Wochenende kamen zwei Filme im TV, die ich bis zu der Zeit beide noch nicht gesehen hatte.
Der eine war "Dancer in the Dark" von Lars von Trier mit einer großartigen Björk in der Hauptrolle der Selma. An dem selben Wochenende gab es einen Film zu sehen, der mich ganz und gar nicht begeistert hat, aber über den man schon vorher soviel gehört hat, daß man ihn wenigstens einmal schauen musste, um sich selbst ein Urteil drüber zu bilden und zwar war das Matrix.
Dieses zufällige Zusammentreffen zweier qualitativ wie inhaltlich völlig unterschiedlicher Filme erschuf dann in mir einen Gedanken , der die Ideen beider Filme plötzlich zusammenwachsen ließ und mir den Weg zu meiner eigenen Musik eröffnete. Aus der Selma und der Matrix wurde so Selmatrix.


Welches sind deiner Meinung nach die Ideen der Filme?

Selma erträgt ihr Schicksal des langsamen Erblindens und einen harten ausbeuterischen Fabrikjob durch die Liebe zu ihrem Sohn und durch die Liebe zur Musik. Ihre Liebe zur Musik ist eine Besondere. In für sie besonders unerträglichen Momenten nimmt sie irgendwelche Alltagsgeräusche auf und benutzt sie als Grundlage für einen Musical-Song und schlussendlich für eine ganze Szene eines Musicals, was aber beides nur in ihrem Kopf stattfindet, allein ausgelöst durch Rattern einer Eisenbahn, durch das Zischen und Pfeifen und Ächzen einer Maschine... Sie benutzt also Geräusche des Alltags, um sich in eine eigene (Musical-)Welt hineinzudenken, die dann für sie in dem Moment Realität fernab der "eigentlichen" Realität ist.
Gleichzeitig gibt es da ihren Sohn, den sie über alles in der Welt liebt und dem sie durch eine teure Operation ein ähnliches Schicksal (dem des Erblindens) ersparen möchte. Um das Geld zusammen zu bekommen, fährt sie in der Fabrik Doppelschichten und begeht sogar einen Mord, um ihr Erspartes zu verteidigen. Sie wird angeklagt und alles könnte ein Happy End nehmen, wenn sie sich von dem Ersparten einen Anwalt leisten würde. Aber die Liebe zu ihrem Sohn und der Wille, daß es ihm besser ergehen soll, ist stärker, als ihr eigener Wille, weiterzuleben. Vor ihrer Hinrichtung ist für sie gar nicht mal der Gedanke des nahenden Endes das Allerschlimmste, sondern viel mehr die "Totenstille" in dem Trakt. Erst als eine verständnisvolle Wärterin die Stille durchbricht, ist sie wieder in der Lage auch ihren letzten Gang durchzustehen.
Insgesamt zeigt sie einen unzähmbaren Willen, für das Wichtigste in ihrem Leben alles zu tun und sie nimmt alles erdenklich Schlimme dafür in Kauf und erträgt es, durch Musik, die nur in ihrem Kopf entsteht. Für mich zeigt das die Macht der Geräusche, die Macht der Musik und gleichzeitig zeigt es auch die Nähe von Geräusch und Musik. Ein kleines alltägliches Geräusch kann Initiator einer ganz neuen Welt sein.

Matrix ist im großen und ganzen mal wieder ein fürchterlich banaler Hollywood-Schinken, aber ihm liegt auch eine interessante, wenn auch nicht ganz neue Idee zugrunde: Die Irrealität des scheinbar Realen. Die scheinbar reale Welt, in der wir alle leben, wird hier dargestellt, als riesige Gedankenmanipulation einer äußeren Macht. Nur ein paar wenige Auserwählte sind in der Lage dieses zu erkennen und zwischen den Welten hin und her zu springen.
Im Prinzip geht es also darum, Kraft eigener Gedanken den Dingen auf den Grund zu gehen, sich nichts vormachen zu lassen und die Welt wieder so zu gestalten, daß niemand durch die vorherrschenden Umstände mehr unterjocht wird.


Und wie vereinen sich die beiden Ideen in der Idee, die hinter Selmatrix steht?

Nun, bei Selmatrix geht es im Wesentlichen um die Neuanordnung und Manipulierung von Geräuschen. Man setzt sie in einen neuen Zusammenhang und sie ergeben eine Komposition, die wiederum im günstigsten Falle eine neue (Sound)-Welt erschafft. In gewissem Sinne basiert das auf der Idee der Selma, Alltagsgeräusche für ihre Musicals zu nutzen. Der Unterschied zu Selmatrix ist aber der, daß bei Selmatrix nicht das Unerträgliche erträglich gemacht werden soll. An der Stelle greift dann viel mehr das "Konzept Matrix". Sonst meist nicht wahrgenommene Geräusche, wie zB das Summen einer Lüftung, werden hier plötzlich in den Mittelpunkt gerückt und man nimmt nun erst wahr, wie die Welt wirklich klingt. Gleichzeitig wird durch Verfremdungen diese Welt verändert. Der Zuhörer ist plötzlich von den Zusammenhängen befreit und erhält so die Möglichkeit, neue Zusammenhänge oder ganz neue Welten in sich zu kreieren.


Das klingt nach einer Menge Denkarbeit, die während des Hörens erforderlich ist.

Nein nicht wirklich. Diese ganzen Abläufe entstehen mehr aus einem Teil des Unterbewussten. Musik ist in der Lage das Unterbewusstsein sehr stark zu stimulieren. Jeder kennt das Gefühl von extrem halligen Sounds, die in einem plötzlich ein Unwohlsein, eine Beklemmung auslösen, weil man diese Sounds unbewusst mit dunklen Höhlen in Verbindung bringt. Man kann das nicht steuern, es ist da und kommt plötzlich als ein starkes Gefühl zum Ausbruch.
Im Idealfall soll  so etwas in jedem Stück passieren. Die meisten Projekte, die auf diesem Gebiet arbeiten, sind da noch wesentlicher erfolgreicher als ich, aber ich arbeite dran.


Apropos arbeiten. Wie ist deine Arbeitsweise bei der Schaffung neuer Songs?

Ich schaue erst einmal was ich habe, suche eine Gemeinsamkeit in dem Material. Wenn ich die gefunden habe, entsteht das Konzept. Derzeit liebe ich es, mich auf wenige Sounds zu beschränken. So zum Beispiel bei 5-4-3-2-1. Alles ist aus vier Feldaufnahmen entstanden. Ich liebe es, aus einem eng gesteckten Rahmen, soviel ich derzeit kann, herauszuholen.
Zugegeben, meine Mittel sind derzeit noch beschränkt, aber darin liegt auch der Reiz. Je mehr ich herumexperimentiere, je mehr Möglichkeiten ich entdecke, desto weiter entwickele ich mich ja auch. Könnte ich bereits alles, bräuchte ich nicht zu experimentieren. Ich mag das, unvoreingenommen an ein Projekt zu gehen und selber gar nicht zu wissen, was am Ende heraus kommt. Im Grunde ist hier wie in vielen Dingen der Weg - also das Experiment - das Ziel.


Klingt nach einer sehr offenen Herangehensweise. Gibt es keine Begrenzungen, zB in der Auswahl der Soundquellen? Ist es möglich, daß es irgendwann Songs gibt, die auf rein computergenerierten Sounds oder zB "richtigen" Instrumenten wie Gitarren oder ähnlichem basieren?

Es gibt Begrenzungen, aber immer nur für ein Projekt. Beim nächsten kann es wieder andere geben, also auch möglicherweise einmal computergenerierte Sounds. Ich habe sehr großen Respekt vor Musikern, die so etwas komplett ablehnen, aber ich mag das für mich nicht ausschließen. Wenn ich das mag, dann tu ich es eben. Es gibt kein Experiment, vor dem ich zurückschrecken würde, wenn ich selber Spaß dran entwickele. Kurzfristig werden Sounds aus Kontaktmikrophonen eine Rolle spielen. Mittelfristig ist geplant, Gitarrensounds und ein Didgeridoo mit einzubeziehen.


Kurzes Namedropping. Wer sind deine Vorbilder, wer hat dich beeinflusst, wessen Musik favorisierst du?

Ein Name zu allererst: Troum als meine Lieblingsband und auch besonders Stefan durch seinen beispielhaften Einsatz für die gesamte Szene in Form seines Labels und seines Mailorders Drone Records. Ich würde gerne irgendwann einmal die Tiefe der Troum'schen Soundwelten und gleichzeitig die Vielfaltigkeit von Drone Records erreichen. Aber dafür müsste ich mindestens 100 werden und selbst dann würde es mehr als schwer werden.
Weiter liebe ich Daniel Menche. Der Mann ist Rock'n'Roll. Ich bewundere die unglaubliche Dynamik in seinen Sounds.
Aube ist ein Vorbild in seiner Herangehensweise, weil er ganze Alben nur auf einer Soundquelle beruhend wie zB Wasser entstehen lässt.
Kapotte Muziek sind auch immens wichtig gewesen. Ich hab an zwei ihrer Workshops teilgenommen und dabei unsagbar viel gelernt. Im Grunde waren sie die großen Motivatoren, ohne die es Selmatrix vielleicht gar nicht geben würde.
Till von Auf Abwegen ist auch so ein "Auf den Weg Bringer". Seine Zeit im Kulturbunker Mülheim und die von ihm veranstalteten Konzerte dort haben meinen Horizont immens erweitert.
Zu meinen musikalischen Faves gehören wohl auf jeden Fall auch Moljebka Pvlse, Hafler Trio, Aidan Baker, Hum, aber auch Sachen wie Godflesh/Jesu , Isis und Mogwai.


Noch eine letzte Mitteilung an die Welt draußen an den Geräten?

Ich möchte Sonic Youth für ihre großartige Textzeile "Schizophrenia is taking me home" danken.


Ich bedanke mich bei mir für dieses Interview.